Die Entwicklung hin zu einem dekarbonisierten Wärmemarkt wird für Verteilnetzbetreiber und Stadtwerke zu einem strategisch wichtigen Thema. Dies war die klare Einschätzung der Referenten und Teilnehmer an der Fachtagung Erdgasumstellung und Wasserstoff der ARGE Erdgasumstellung (EGU). „Der Dekarbonisierungsdruck ist gestiegen“, sagte Olaf Däuper, Partner bei den Rechtsanwälten Becker Büttner Held (BBH) und verwies auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zum Klimaschutzgesetz (KSG) vom 24. März 2021. Die noch amtierende Bundesregierung hatte nach der Entscheidung in einer Hauruck-Aktion die Obergrenzen für die Treibhausgasemissionen der verschiedenen Sektoren gesenkt. Zudem wurden – dies hatte das BVG in seiner Entscheidung gefordert – Zwischenziele über 2030 hinaus festgelegt und die Klimaneutralität bis 2045 im Gesetz verankert. „Die Stadtwerke müssen sich bei der Wärmeversorgung verändern“, lautete Däupers Schlussfolgerung. Er erwartet im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung Maßnahmen, um die Ziele aus dem KSG zu unterlegen. Dazu ist die nächste Bundesregierung verpflichtet. Da zudem vermutlich die Sektorziele für 2021 verfehlt werden, ist schon im kommenden Jahr ein Sofortprogramm mit konkreten Maßnahmen notwendig.
Für Stadtwerke steht damit vor allem die Zukunft der Gasverteilnetze auf dem Spiel. Klar ist, Erdgas muss spätestens nach 2030 aus dem System herausgedrängt werden, um eine nachhaltige Senkung der Treibhausgasemissionen zu erreichen. Die Weichenstellungen werden vorher erfolgen. Die Verteilnetze können dann weiter eine Rolle spielen, wenn gasförmige Energieträger, vor allem Wasserstoff im Wärmemarkt größere Bedeutung haben werden. Über Wasserstoff im Wärmemarkt wird zwischen Think-Tanks und in der Politik sehr kontrovers diskutiert. Es gebe eine starke Lobby, die eine Elektrifizierung der Wärmeversorgung befürwortet, sagte Däuper dazu. Silvio Konrad, Geschäftsführer von TÜV NORD Systems sieht durchaus gute Chancen für Wasserstoff im Wärmemarkt, zunächst als Beimischung und dann als reiner Wasserstoff in wasserstofffähigen Endgeräten. Grundsätzlich gilt eine Beimischung von bis zu 20 Prozent als technisch möglich. Die Fernleitungsnetzbetreiber wollen allerdings grundsätzlich reine Wasserstoffnetze betreiben, wie Ulrich Ronnacker vom Fernleitungsnetzbetreiber OGE erläuterte. Allein regional seien unter bestimmten Bedingungen Beimischungen im Fernleitungsnetz möglich.
Die offene Zukunft der Gasnetze hat Auswirkungen auf die L-/H-Gas-Umstellung: „Bei Schaltterminen ab 2025 ergeben sich Zielkonflikte zwischen Erdgasumstellung und Klimaneutralität“, sagte Peter Bergmann, Vorstand von BBH Consulting. Der Gasabsatz werde zurückgehen, eine Stilllegung von Teilnetzen denkbar. Deshalb sollten Stadtwerke die Umstellungsplanung mit einer strategischen Planung über die möglichen zukünftigen Strukturen der Wärmeversorgung verbinden. Daten über die Endgeräte aus dem Umstellungsprozess können dabei helfen, Planungsgrundlagen zu verbessern. Sie erlauben unter anderem eine Prognose der Wahrscheinlichkeit eines Wechsels des Energieträgers. Bergmann regte an, zu prüfen welche zusätzlichen Daten zum Beispiel über einen Fragebogen für Monteure erhoben werden können.
Rechtlich und regulatorisch entstehen für die Netzbetreiber erhebliche Herausforderungen. Christian Thole, Partner von BBH wies darauf hin, die Netzbetreiber müssten prüfen, ob eine Bildung von Rückstellungen notwendig und ein Neuanschluss von Kunden an das Gasnetz noch wirtschaftlich zumutbar ist. Eine kommunale Wärmeplanung, an der sich Stadtwerke aktiv beteiligen, betonten sowohl Thole als auch Däuper, könnte eine gute Grundlage für die zukünftige Ausrichtung lokaler Wärmeversorgung sein. In Baden-Württemberg ist eine solche Planung Pflicht, der Koalitionsvertrag könnte der nächsten Bundesregierung eine bundesweite Verpflichtung aufgeben.